Was wäre, wenn die Walliser Kreativität auch darin bestehen würde, verwendete Materialien neu zu erfinden? Upcycling, also die Kunst, Materialien neues Leben einzuhauchen, gewinnt im Wallis zunehmend an Bedeutung. Zwischen Unternehmertum, Mode und Design zeigt es in Richtung einer Zukunft, in der Kreativität und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.
Nichts geht verloren, alles wird verwandelt
Während beim Recycling industrielle Verfahren zum Einsatz kommen, um Materialien in ihren Rohzustand zurückzuversetzen und wiederzuverwenden, erzählt Upcycling eine andere Geschichte. Es geht vom Objekt aus, wie es ist, und gibt ihm ein zweites Leben, einen neuen Nutzen oder ein neues Design, ohne seine früheren Spuren zu verwischen. Ein Ansatz, der darauf abzielt, Ressourcen zu schonen, Abfall zu reduzieren und Kreativität im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Dieser Ansatz ist attraktiv, weil er Kreativität, ökologische Kohärenz und lokales wirtschaftliches Potenzial vereint. Im Wallis verkörpern mehrere Projekte diese Dynamik und zeigen, dass es sich nicht nur um eine Modeerscheinung handelt: Nach und nach entsteht ein vielversprechendes kreatives Ökosystem.
Givré: ungenutzte Materialien im Dienst der Kunst und der Nützlichkeit
Das Team von Givré hat ein Mantra: «Es gibt keinen Abfall, nur Materialien, die darauf warten, verarbeitet zu werden». In Vétroz werden Werbeplanen, Segel, Feuerwehrschläuche oder vergängliche Kunstwerke zu Taschen, Beuteln, Etuis und funktionalen Schlüsselanhängern verarbeitet. Das Unternehmen arbeitet mit kurzen Lieferketten, die Materialien stammen aus der Region und die Produktion erfolgt vor Ort.
Der Ansatz von Givré ist sowohl künstlerisch als auch nützlich. Künstlerisch, weil jedes Stück eine Geschichte erzählt und ein Unikat darstellt: Die ausgeschnittenen Ausstellungsplanen des Papiermuseums werden zu Taschen, die Schläuche der Feuerwache zu Schlüsselanhängern und die Planen des PALP-Festivals zu Geldbörsen. Nützlich, weil diese Kreationen so konzipiert sind, dass sie langlebig und funktional sind und den Alltag derjenigen begleiten, die sie tragen.
Givré entwirft auch massgeschneiderte Stücke, um den Bedürfnissen von Fachleuten gerecht zu werden. Das Team hat etwa mit Samaritern in der Romandie zusammengearbeitet, um Trainingsmatten für Reanimationsübungen sowie abnehmbare Hüllen für automatisierte externe Defibrillatoren zu entwickeln. Letztere werden aus neuen Planen hergestellt, garantieren optimalen Schutz und lassen sich gemäss den hygienischen Anforderungen leicht reinigen. Diese Projekte veranschaulichen die Fähigkeit des Ateliers, sein kreatives Know-how an die technischen und funktionalen Anforderungen der Berufswelt anzupassen und dabei lokale Produkte zu bevorzugen, die unter Berücksichtigung der Materialien und der Umwelt hergestellt werden.
Givré jongliert heute zwischen Handwerk, Design und sozialem Engagement und befindet sich gleichzeitig in einer heiklen Übergangsphase: dem Weggang vom ehrenamtlichen Modell hin zu einer leichten Industrialisierung. Eine Herausforderung, die auch eine stärkere Strukturierung und Professionalisierung der Unternehmensführung erfordert – aber vor allem eine Gelegenheit darstellt, zu zeigen, dass Upcycling zu einem tragfähigen Geschäftsmodell werden kann.

Schwarzberg: Von Gleitschirmen zu Rucksäcken
In Saas-Fee zeigt der Verein Schwarzberg, wie sich Upcycling vollständig in die Kreativwirtschaft integrieren lässt. Hier werden ausgediente Gleitschirme zu Taschen und Accessoires mit einzigartigem Design, die auf lokalem Know-how basieren. Der Ansatz ist vorbildlich: 95% der Materialien der Produkte stammen aus Gleitschirmen.
Jedes Stück ist ein Unikat, erkennbar an seinen Farben und dem Ripstop-Gewebe der Gleitschirme. Auch die Seile und Karabinerhaken werden wiederverwendet. Reissverschlüsse, die in der Schweiz von Riri aus recycelten Materialien hergestellt werden, runden das Ganze ab. Jede Tasche ist auf Langlebigkeit ausgelegt: Sie kann im Lauf der Jahre leicht repariert, verstärkt oder angepasst, statt ersetzt zu werden.
Mit einem Fokus auf kurze Transportwege und handwerkliche Arbeit im Saastal zeigt Schwarzberg, dass ein lokales Modell gleichbedeutend mit nachhaltigem Design sein kann – und dass selbst ein Gleitschirm am Ende seiner Flugkarriere ein ganz neues Abenteuer beginnen kann.




Ein fruchtbarer Boden für Walliser Kreativität
Von der Werkstatt von Givré bis zu den einzigartigen Taschen von Schwarzberg nimmt Upcycling vielfältige und unerwartete Formen an. Diese Initiativen zeigen, dass es möglich ist, Ästhetik, Know-how und Umweltbewusstsein in Einklang zu bringen und Materialien gleichzeitig eine neue Geschichte zu geben.
Es gibt jedoch noch viele Herausforderungen: Wie kann man skalieren, ohne die Seele der Projekte zu verlieren? Wie kann die Versorgung mit wiederverwendbaren Materialien sichergestellt werden? Wie kann die Rentabilität gewährleistet werden, ohne in die Fallstricke der Massenproduktion zu tappen?
Viele Fragen … aber auch viele Chancen. Diese Projekte zeigen, dass Upcycling neue Perspektiven für das Walliser Design eröffnet und dazu einlädt, andere Wege der Zusammenarbeit, der Produktion und des Konsums zu gehen.